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CDU-Politiker Heiner Geißler gestorben

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Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren.

Foto: dpa/Marijan Murat

Heiner Geißler starb im Alter von 87 Jahren.

Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ist tot. Er starb im Alter von 87 Jahren im pfälzischen Gleisweiler, wie die Familie am Dienstag der "Süddeutschen Zeitung" mitteilte.

Geißler galt als Querdenker und unbequemer Mahner. In seiner langen politischen Karriere bezog er sich immer wieder auf die christliche Soziallehre als Koordinatensystem. In den letzten Jahren trat er vor allem als Schlichter in großen Tarifkonflikten hervor. Von den christlichen Kirchen forderte der Katholik mehr soziales und politisches Engagement und rief zur Überwindung der Kirchenspaltung auf. Sein Tod löste in der Politik große Betroffenheit aus.

Von 1967 bis 1977 war Geißler Minister für Soziales, Jugend, Gesundheit und Sport des Landes Rheinland-Pfalz, von 1982 bis 1985 Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett von Helmut Kohl. Das Amt des Generalsekretärs der CDU - das sein Bild in der Öffentlichkeit maßgeblich prägte - hatte er von 1977 bis 1989 inne. 1965 war der Vater dreier Kinder zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt worden.

Merkel: Herausragender Christdemokrat

Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte Geißler als Politiker mit Rückgrat. Mit ihm verliere "unsere Partei einen herausragenden Christdemokraten, einen leidenschaftlichen Verfechter der katholischen Soziallehre und einen beherzten Kämpfer für die soziale Marktwirtschaft", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung von Merkel und CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Geißler habe die Politik der Bundesrepublik Deutschland und der CDU fast ein halbes Jahrhundert hinweg entscheidend mitgeprägt, fügten Merkel und Tauber hinzu: "Er war unter anderem Minister in Rheinland-Pfalz, Bundestagsabgeordneter, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit sowie stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von 1977 bis 1989 diente er der CDU als Generalsekretär - so lange wie niemand vor und nach ihm." Die beiden CDU-Politiker bezeichneten Geißler als "intellektuell herausragend, rhetorisch brillant, streitbar und selbstbewusst". Er habe sich über alle Parteigrenzen und politischen Lager hinweg höchste Anerkennung, Vertrauen und Respekt erwoben: "Nach seiner aktiven politischen Laufbahn vermittelte er in verschiedenen Tarifkonflikten und war mehrfach als Schlichter tätig, zuletzt beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21."

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte den verstorbenen CDU-Politiker Heiner Geißler als Vorbild. Das Land verliere "eine unvergleichliche politische Persönlichkeit, die bis ins hohe Alter gerade auch für junge Menschen Vorbild war", heißt es in einem am Dienstag veröffentlichten Kondolenzschreiben Steinmeiers an die Witwe des Verstorbenen. Geißler habe über Jahrzehnte das Land mitgeprägt, erklärte Steinmeier. "Er war mit einer Leidenschaft Politiker und mit einer Hingabe Mitgestalter unseres Gemeinwesens, die selten zu finden waren und sind", schreibt das Staatsoberhaupt. Er hob Geißlers christliche Überzeugung hervor, die dessen Reden und Handeln geprägt habe. "Dass er im demokratischen Streit gelegentlich seine polemische Begabung einzusetzen wusste, hat ihm Ärger eingebracht, aber letztlich oft zur Klärung politischer Fragen beigetragen", schreibt der Bundespräsident weiter. Geißler habe aber auch Wege zur Versöhnung und zum Ausgleich zu gehen gewusst, ergänzte Steinmeier und verwies auf die Rolle des CDU-Politikers als Schlichter beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21.

Gabriel: Prägende politische Gestalt

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) würdigte Geißler: "Er war für seine Partei und für viele Bürger unseres Landes eine prägende politische Gestalt der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik. An der Auseinandersetzung mit seiner pointierten Sicht auf die Linke und die Sozialdemokratie ist die Diskussionskultur Deutschlands gewachsen."

Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) würdigte ihren Vorgänger im Amt als streitbaren Sozialpolitiker, "dem der soziale Ausgleich in unserem Land immer ein Herzensanliegen war". Barley: "Heiner Geißler hat sich um die Familien in unserem Land verdient gemacht. Meine Gedanken sind bei seiner Familie und seinen Freunden."

Kauder: Modernisierer und Brückenbauer

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) erklärte auf Twitter: "Heiner Geißler hat die CDU geprägt: Soziale & ökologische Verantwortung, Menschlichkeit. Ich bin tief erschüttert. Sein Vermächtnis bleibt." Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet? (CDU) bezeichnete Geißler als "intellektuell brillant": Er sei einer "unserer Besten" gewesen.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, nannte Geißler einen Modernisier und Brückenbauer mit "Weitblick, Scharfsinn und Eloquenz". Kauder: "Heiner Geißler dachte und handelte eigenständig, eckte an und war offen für die Diskussion über die Parteigrenzen hinweg. Auch nach dem Ausscheiden aus seinen politischen Ämtern blieb er uns in der Partei und in der Bundestagsfraktion ein wichtiger Wegweiser."

Bedford-Strohm: Er hatte wirklich etwas zu sagen

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zeigte sich betroffen vom Tod des früheren CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler. "Er hatte wirklich etwas zu sagen. Und selbst da, wo er zuweilen in der Schärfe der Kritik überzog, lohnte es sich immer, über deren Kern nachzudenken. Er wird uns fehlen", heißt es in einem Facebook-Beitrag des bayerischen Landesbischofs. "Noch vor wenigen Monaten bin ich ihm in unserem Landeskirchenamt in München begegnet, wo wir gemeinsam an einer Kuratoriumssitzung der Stiftung 'Wings of Hope' für traumatisierte Kinder und Jugendliche teilnahmen", fügte Bedford-Strohm hinzu: "Ich habe noch seine Beiträge zu unserer Diskussion im Ohr, denen alle aufmerksam lauschten."

Geißler stammte aus einer katholisch geprägten Beamtenfamilie und wollte eigentlich Priester werden. Er wurde am 3. März 1930 in Oberndorf am Neckar (Baden-Württemberg) geboren. Nach seinem Abitur am Jesuitenkolleg in St. Blasien trat er zunächst dem Jesuitenorden bei, den er jedoch nach vier Jahren wieder verließ.

Er selbst habe mit den Jahren angefangen, "an Gott zu zweifeln", bekannte Geißler noch Anfang dieses Jahres in einem "Zeit"-Interview. Dabei rügte er die beiden großen Kirchen: "Mich packt der heilige Zorn, wenn ich an die offizielle evangelische und katholische Theologie denke." Die katholische Kirche könne "sich noch nicht einmal auf ein gemeinsames Abendmahl einigen. Die politische Dimension des Christentums steht während der gesamten Reformationsfeierlichkeiten im Hintergrund. Das ist absurd, ein groteskes Missverständnis des Evangeliums."

Nach dem Studium der Philosophie sowie der Rechtswissenschaften in München und Tübingen und einer Promotion 1960 an der Universität Tübingen legte Geißler 1961 sein zweites juristisches Staatsexamen ab. Er arbeitete zunächst als Richter, dann als Leiter des Ministerbüros des Arbeits- und Sozialministers von Baden-Württemberg.


Game Over: Neue ungewöhnliche Grabsteine

Wo man über das Sterben spricht

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Death Café

Foto: Katrin Wienefeld

Melanie Torney (von links nach rechts), Ute Arndt und Ina Hattebier vom Netzwerk Trauerkultur.

Über den Tod zu reden ist eine gute Art, zusammen zu sein. Das sagte sich Ute Arndt vor einem Jahr, als sie das erste Mal von einem Death Café hörte. Mittlerweile lädt die Trauerbegleiterin aus Norddeutschland regelmäßig zu den existenziellen Themenabenden in Hamburg ein, der Zuspruch ist groß. Wichtig dabei: Es gibt Kaffee und Kuchen.

Ein bisschen morbid klingt es, was auf der rosafarbenen Einladungskarte zu lesen ist: "Death Café Hamburg Nr. 4" steht in großen Buchstaben darauf und unter einer Zeichnung mit Totenkopf und Tortenstück ist die Frage zu lesen: "Earth, wind or fire – braucht Gedenken einen festen Ort?". Eingeladen hat das Hamburger Netzwerk für Trauerkultur, das Event findet in den Räumen zweier Bestatterinnen statt und zu allem Überfluss regnet es. Fröhlich wird es nicht an diesem Abend, da bin ich mir sicher. Doch es kommt anders: Bis zum Ende des Treffens werde ich eine der anregendsten Diskussionen meines Lebens geführt haben.

In einem dezent beleuchteten Raum, in dem ansonsten Angehörige Abschied von Gestorbenen nehmen, aber auch kleine Konzerte stattfinden, sitzen 22 Gäste um vier runde Tische, hauptsächlich Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Herzlich normal sehen sie aus, sie haben weder gruftiehafte Kleidung an noch wirken sie düster. Da ist zum Beispiel Claudia, blonder Stoppelschnitt, offenes Gesicht und Lachfalten um die Augen. Seit sie ihre Mutter beim Sterben begleitet habe, beschäftige sie sich intensiver mit dem Thema, erzählt die 50-Jährige. Neben ihr sitzt die 55-jährige Monika, die ganz neugierig auf die Gespräche ist. "Ich will wissen, was Begräbnisse für mich bedeuten. Noch bin ich zwiespältig. Trauern gehört zu unserer Kultur, doch ich bin jedes Mal froh, wenn diese anstrengenden Trauerfeiern vorbei sind", meint sie.

Death Cafés weltweit

Die Idee eines Death Cafés ist charmant und keineswegs lebensverneinend: In zwangloser Atmosphäre treffen sich Interessierte und reden offen über den Tod und das Lebensende. Die Ursprünge liegen in der Schweiz und in England. Bernard Crettaz, Schweizer Soziologe, bemerkte während einer Projektarbeit, dass das Thema Tod vielen Menschen wichtig ist, sich jedoch kaum jemand traute, es anzusprechen. Der Wissenschaftler veranstaltete 2004 versuchsweise ein "Café mortel". Von ihm inspiriert initiierte der Brite Jon Underwood 2011 in London ein Death Café, hatte enormen Erfolg und gründete die gleichnamige Non-profit-Organisation. Mittlerweile soll es in mehr als 51 Ländern die Talkrunden geben, rund 20 davon in Deutschland. Manche nennen sich "Café Tod", andere wie das Bonner "Café Totentanz" funktionieren nach anderen Regeln und einige schliefen nach ein paar Treffen ein.

Ein fröhliches Design läd ein ins Death Café in Hamburg.

Dass es in Hamburg so gut klappt, ein fünftes Death Café ist während der Hamburger Hospizwoche Mitte Oktober geplant, liegt vielleicht auch an Trauerbegleiterin Ute Arndt, die mit der Künstlerin Ina Hattebier und den Designern Melanie Torney und Carsten Seidel vor einem Jahr das Netzwerk für Trauerkultur gegründet hat. Sie wollen nicht belehren oder eine Podiumsdiskussion veranstalten, meint die energiegeladene 59-Jährige, die jeden Gast begrüßt und so mögliche Scheu nimmt. Ihr Ziel sei es, "Orte zu schaffen, an denen Menschen über Tod und Sterben reden können, ohne dass sie einen zwingenden Anlass dafür haben müssen. Wo sie erzählen können, was sie denken, was sie erlebt haben." Der wichtigste Grundsatz: Ein Death Café ist weder Trauer- noch Selbsthilfegruppe, sondern ein offenes, kostenloses Angebot. Der Zweitwichtigste: Snacks und Getränke stehen bereit, denn gut genährt redet es sich besser über den Tod. "Oft kommen Menschen, denen der Tod näher gerückt ist, weil die Eltern älter werden oder im Freundeskreis jemand gestorben ist. Eine 16-Jährige hat mir neulich gesagt, sie könne mit keinem ihrer Freunde über den Tod reden, die Gleichaltrigen beschäftigen sich nicht damit", sagt Künstlerin Hattebier, die Urnen mit Papier schmückt.

Gedenken jenseits der Friedhöfe

Wir knabbern Kekse, trinken Saft oder Bier und reden über das Thema des Abends: Wo sollen Verstorbene sein? Brauchen wir Friedhöfe? Brauche ich den Namen auf einem Grabstein? In meiner siebenköpfigen Runde gibt es kein Stottern, kein verlegenes Lächeln, das Gespräch beginnt sofort. "Ich finde, es braucht einen Ort. Anonyme Beisetzungen sind traurig", sagt Gyde, während Claudia ganz angetan von dem Ruhewald auf dem Ohlsdorfer Friedhof ist. "Kürzlich ist ein Freund von mir dort bestattet worden. Dort stehen Bänke, ein Bach fließt und vor allem sind andere Menschen da. Das gefällt mir besser als zu einem Grab zu gehen, wo auf einem Grabstein ein oder zwei Namen stehen und ich bin allein. Das hat so was Schweres", sagt sie.

Was Thomas erzählt, ist unglaublich. Er habe zwischen 2007 und 2015 vierzehn Todesfälle erlebt, sagt der 56-jährige Journalist, der anfänglich schweigsam war. Die Schwester, die Mutter, der Vater, enge Freunde. Dennoch sagt er: "Gräber sind keine Orte, zu denen ich hingehe. Ich habe eher Bilder der Menschen zu Hause hängen. Neulich bin ich in Stadtviertel in Frankfurt gegangen, die mich mit einem guten Freund verbanden."

Alle horchen auf, als Karin schmunzelnd erzählt, dass sie einen Baum im Hamburger Stadtpark habe pflanzen lassen und darunter die Asche ihres Mannes eingegraben. "Das ist natürlich nicht offiziell erlaubt, aber es hat keiner verboten", sagt sie. Schwupps sind wir beim Thema Friedhofspflicht, nach der Gebeine von Verstorbenen nur auf Friedhöfen begraben werden dürfen, Ausnahmen sind See- und Naturbestattungen. Einzig das Bundesland Bremen hat diese Pflicht vor zwei Jahren aufgehoben. Wer mag, darf dort die Asche im Garten verstreuen. Doch was passiert eigentlich, wenn Freunde des Toten diese letzte Ruhestätte besuchen wollen, sich aber nicht mit dem Besitzer des Gartens verstehen? Spannende Frage!

Was ich in dieser Stunde von mir unbekannten Leuten erfahre, ist sehr privat, aber nie intim oder rührselig. Jeder hört dem anderen zu, neue Aspekte werden erörtert. Eine so lebendige Diskussion ist ein Glücksereignis. "Da setzen sich Menschen, die sich nicht kennen, um einen Tisch, erzählen sich alles, haben ein offenes Ohr, obwohl sie nicht aus meinem Berufszweig kommen. Ich finde es toll", sagt Veranstalterin Arndt später. Eine Erfahrung, die auch Katja de Bragança vom Café Totentanz macht: " Es kommt nicht auf das Alter an. Übers Sterben macht sich jeder Gedanken", sagt sie über die Cafés.

Eine Wortschöpfung nehme ich mit nach Hause: Reihenhausfriedhof als Umschreibung für "herkömmliche" Friedhöfe - ob evangelisch oder katholisch - mit ihren oft schnurgeraden Grabreihen, rechteckigen Grabstellen und zumeist grauen Grabsteinen. Und ich habe gelernt, das alles, was mit Begräbnissen zu tun hat, von persönlichen Vorlieben abhängt. Ob Ruhewald, Grabstätte oder anonym, auch bei Bestattungen lässt sich nicht über Geschmack streiten.

Ein würdiges Leben am Ende

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St. Christopher's in London - Das erste moderne Hospiz wird 50
 Eine Pflegerin scherzt mit einem Patienten.

Foto: epd-Bild/St.Christophers

Eine Pflegerin scherzt mit einem Patienten.

Schmerzen nehmen und Menschen am Lebensende mit Leib und Seele betreuen, dafür stehen Hospize in vielen Ländern der Welt. Das erste moderne Hospiz gründete die Britin Cicely Saunders vor 50 Jahren in London.

Der große helle Raum sieht aus wie ein gewöhnliches Café. Fast alle Tische sind voll besetzt, es ist Zeit für Kaffee und Kuchen. An der Theke bestellen sich die Besucher Tee oder Kaffee. Ganz am Ende des Raumes stimmt eine Gruppe "Happy Birthday" an. Es wird gefeiert. Eine Mitarbeiterin serviert süße Stückchen auf einer Étagère. Alles wirkt wie ein Nachbarschaftscafé, in dem vor allem ältere Menschen ihren Nachmittag verbringen. Der helle, freundliche Raum ist das Herz des Hospizes St. Christopher's im Londoner Stadtteil Sydenham. 

Vor 50 Jahren - am 24. Juli 1967 - wurde St. Christopher's eröffnet. Die ersten Patienten zogen bereits einige Tage zuvor ein. Die Idee dazu hatte die Krankenschwester und Ärztin Dame Cicely Saunders (1918-2005). Sie gilt als die Mitbegründerin der modernen Hospizbewegung, St. Christopher's als erstes modernes Hospiz: Schwerstkranke und sterbende Menschen werden auf ihrem letzten Weg versorgt und begleitet.

Enge Zusammenarbeit mit Kirchen und religiösen Einrichtungen

St. Christopher's war die erste Einrichtung, die Schmerzbehandlung, Symptomkontrolle, Pflege, Weiterbildung und klinische Forschung miteinander verband. Das Hospiz forschte über den Einsatz von Morphium in der Schmerztherapie und untersuchte neue Wege der Behandlung von Symptomen. 2005 starb Cicely Saunders in dem von ihr selbst gegründeten Haus.

Heute versorgen die Mitarbeiter jedes Jahr Tausende Menschen am Ende ihres Lebens - nicht nur stationär, sondern vor allem in ihren eigenen vier Wänden. Das Hospiz ist säkular, arbeitet aber eng mit Kirchen und anderen religiösen Einrichtungen zusammen.

Nicht jeder, der von St. Christopher's betreut wird, ist bereits im fortgeschrittenen Alter. "Wir haben auch eine Gruppe mit jungen Erwachsenen", sagt Emily Baddeley, die Kommunikationsverantwortliche der Einrichtung. "Wenn die sich hier treffen, geht es ziemlich lebhaft zu." 

Vor kurzem nahm die Gruppe an einer großen Straßenparade in London teil. Das sei zwar vielleicht ungewöhnlich für ein Hospiz, sagt Baddeley, aber für die Patienten sei es ein einmaliges Erlebnis gewesen.

Ein großer Garten umgibt das Gebäude, es gibt Kunstateliers und musiktherapeutische Angebote. Die Wände des Hospizes sind bunt geschmückt mit Werken der Teilnehmer der Kunsttherapie. Auch politische Statements lassen sich in den Kunstwerken entdecken, beispielsweise Kritik an der Regierung wegen ihrer Kürzungen im Wohlfahrtsbereich.

1.200 Freiwillige unterstützen das Hospiz bei seiner Arbeit. Hospizleiterin Heather Richardson legt großen Wert darauf, dass das Hospiz seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat. "Wir definieren uns nicht über das Sozialsystem, sondern über die Menschen, die wir unterstützen."

Längere Pflegezeiten als vor 50 Jahren

Auch Kurse und Trainings für Pflegende waren schon immer ein wichtiger Teil der Arbeit von St. Christopher's. Auf dem Gelände werden Menschen aus aller Welt in der Versorgung sterbender Menschen fortgebildet.

Rund 22 Millionen Euro kostet der Unterhalt des Hospizes jährlich. Etwas mehr als ein Drittel davon übernimmt der nationale Gesundheitsdienst NHS, der Rest wird aus Spenden finanziert. Dabei nimmt der Bedarf, am Lebensende Unterstützung durch ein Hospiz zu erhalten, stetig zu, sagt Leiterin Heather Richardson: "Vor allem die sozialen Bedingungen haben sich in den vergangenen 50 Jahren stark verändert."

Die Menschen würden immer älter, oft sei bei Paaren nicht mehr nur ein Partner pflegebedürftig, sondern beide. Früher habe oft ein Ehepartner den anderen gepflegt, "aber das ist bei zunehmendem Alter einfach nicht mehr möglich, deshalb versuchen wir entfernte Verwandte zu beteiligen, Nachbarn, Freunde", sagt Richardson. Auch sei die Zeit, in der Menschen auf umfassende Pflege angewiesen seien, viel länger als noch vor 50 Jahren. Viele litten nicht nur unter einer Erkrankung, sondern an mehreren. Vor allem Demenz spiele eine große Rolle.

Deshalb sieht Richardson die Hauptherausforderung für die Zukunft darin, die Versorgung von Menschen am Lebensende wieder in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. "Wir müssen langfristig die ganze Gesellschaft mit einbinden, anders wird das nicht zu bewältigen sein."

189 Tote bei Anschlag in Somalia

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In Somalia sind bei einem der schwersten Terroranschläge der vergangenen Jahre am Wochenende mindestens 189 Menschen getötet worden. Präsident Mohamed Abdullahi Farmaajo kündigte am Sonntag eine dreitägige Staatstrauer an.

Am Samstag war auf einer belebten Kreuzung in der Hauptstadt Mogadischu eine schwere Autobombe explodiert. Medienberichten zufolge soll es mindestens 200 Verletzte gegeben haben. Rettungskräfte waren am Sonntag damit beschäftigt, Überlebende aus den Trümmern der beschädigten Gebäude zu retten.

Der Anschlag fand auf einer Kreuzung am Eingang zu einem Gebäude statt, in dem Hotels, Restaurants und Büros der Regierung untergebracht sind. Über die Hintergründe wurde zunächst nichts bekannt. Vermutet wird, dass die Terrorgruppe Al-Schabaab hinter dem Anschlag steckt. Die Islamisten kämpfen in Somalia für einen islamischen Gottesstaat und verüben immer wieder Angriffe auf Zivilisten und Einrichtungen der Regierung.



Die Vereinten Nationen verurteilten den Anschlag. Die UN-Mission in Somalia (UNSOM) nannte den Angriff barbarisch, der UN-Sondergesandte für Somalia, Michael Keating, erklärte seine Abscheu für die Tat. Präsident Farmaajo rief die Bevölkerung auf zusammenzustehen. "Der Terror wird nicht siegen", sagte er.

„Dieser Tag – ein Leben!“

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Anne Bezzel
Format: Feiertag
05.11.2017 07:05
Sendung nachlesen:

Erstaunlich viele Menschen in meinem Umfeld können mir eine Antwort geben auf die Frage: Wo warst du, als du hörtest, daß Astrid Lindgren gestorben ist, damals, 2002?

Ich selbst stand an jenem Januartag vor 15 Jahren vor einer Bibliothek. Ich war Mitte zwanzig. Soeben hatte ich die Todesnachricht in der Zeitung gelesen. Über mir rauschte der Wind in den kahlen Bäumen und mich beschlich ein durch und durch irrationales Gefühl: Verwaist zu sein.

So sehr hatte die Autorin offenbar zu meinem Leben gehört.

 

Astrid Lindgren – viele verbinden damit Idylle und heile Welt. Und manchmal ist da kritisch die Rede von einer falschen Heimeligkeit, von einer "Bullerbüisierung".

Ich lese ihre Geschichten aus einem anderen Grund, immer wieder: Weil sie mir Raum geben, dem schwersten Thema des Lebens zu begegnen: Dem Tod.

 

Astrid Lindgren – und der Tod? Als 1974 ihr Roman "Die Brüder Löwenherz" veröffentlicht wird, schlagen die Wellen der Entrüstung hoch. Zwei Brüder, die am Ende gemeinsam in den Tod gehen? Auch wenn dies in der Hoffnung auf ein neues Leben geschieht – verharmlost die Autorin damit nicht dennoch leichtfertig das Thema des Freitods? Nein, es soll keine Ermutigung zum Selbstmord sein. Daß die Liebe stärker ist als der Tod – diesen Trost will Lindgren ihren kindlichen Lesern mit auf ihren Lebensweg geben.

Ein Trostbuch zu schreiben war ihre Absicht, ein Trostbuch für ihren achtjährigen Enkel, der Angst vor dem Tod hatte.

 

Ich las dem Jungen, der so ängstlich war, die Geschichte der Brüder Löwenherz vor, und als ich geendet hatte, lächelte er ein wenig und sagte: "Ja, wir wissen ja nicht, wie es ist, also kann es ja auch so sein."

 

Astrid Lindgren vermag andere zu trösten. Aber sie tut dies nie im Tonfall der Belehrenden. "Ja, Jonathan, ich sehe das Licht! Ich sehe das Licht!"- die letzten Worte des kleinen Karl Löwenherz – Sehnsuchtsworte aus der Feder einer Frau, die selbst die Dunkelheit kennt. Und sie beim Namen nennt. Wie bewusst, zeigt eine Anekdote aus ihrer Biographie:

 

"Vormittags telefonierte Astrid mit der einen und abends mit der anderen Schwester, und jedes Mal wurde das Gespräch mit der gemeinsamen schwesterlichen Beschwörungsformel eingeleitet: ‚Der Tod, der Tod. Der Tod.'"

 

In Astrid Lindgrens Leben ist er gegenwärtig. Sie ist Mitte vierzig, als ihr Mann Sture stirbt. Es ist eine bittere Todesursache: Alkoholismus. Und es ist kein sanftes Sterben. An einem Junitag 1952 platzt als Folge einer Leberzirrhose ein Aderknoten in der Speiseröhre – zwei Tage später stirbt er. Astrid Lindgren schreibt kurz danach in ihr Tagebuch:

 

"… Ich war allein mit Sture, als er fortging. Ich schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, als ich neben meinem bewusstlosen Jungen saß. Ich schrieb: 15. Juni 1952: ‚while strolling out an afternoon in June.' Das sang er früher einmal, mein Geliebter. Und genau das tut er jetzt – strolling out an afternoon in June. Er liegt da und stirbt vor meinen Augen."

 

 

 

Wenige Monate nach dem Tod ihres Mannes schreibt Astrid Lindgren an ihre Mutter:

 

"Wir zündeten eine Kerze auf Stures Grab an, weil Allerseelen war. Es brannten auf fast allen Gräbern Kerzen, und sie leuchteten so hübsch in der Dunkelheit. Ja, Du kannst sicher sein, daß ich mir ALLE Todesanzeigen anschaue, um zu sehen, wie alt der Betreffende geworden ist. Ich will mich geradezu selbst überzeugen, daß es mehr Leben als Stures gibt, die zur Unzeit unterbrochen werden – und es sind wirklich viele, viele!"

 

Der größte Kummer ihres Lebens war jedoch der Verlust ihres Sohnes Lasse. Als Kleinkind hatte sie ihn schmerzlich vermisst, hatte immer wieder Abschied nehmen müssen nach den mühsam ersparten Reisen zu Lasses Pflegemutter nach Dänemark, bei der sie ihn als alleinerziehende Mutter untergebracht hatte. Später, 1986, dann der letzte Abschied von ihrem Sohn, der knapp 60-jährig an Krebs stirbt. Im Angesicht des Todes nach dem Sinn des Lebens zu fragen – das hat Astrid Lindgren immer wieder getan:

 

"Was der Sinn des Lebens nicht ist, das weiß ich: Geld zusammenzukratzen, auf den entsprechenden Seiten der Frauenzeitschriften zu posieren und solch eine Angst vor Einsamkeit und Stille zu haben, dass man nie in Ruhe und Frieden über die Frage nachdenken kann: Was mache ich mit meiner kurzen Zeit auf Erden?"

 

Die Kürze des Lebens, – davor möchte ich selbst oft gerne weglaufen. Astrid Lindgren flieht nicht. Sie setzt sich aus. Sie nimmt mich an die Hand, dasselbe zu tun. Vielleicht ist es das, wonach ich in ihren Büchern suche. Und was ich dort finde: Dass alles da sein darf. Ich muss keine falsche Heldin sein. Ich kann alle Regungen da sein lassen: Aufbegehren und anklagen. Hoffen. Akzeptieren. Trauern.

 

So lese ich in dem Roman "Madita" gemeinsam mit dem fast sieben Jahre alten Mädchen die Zeilen, die ihr Nachbar E.P. Nilson an sie schickt, als er um das Leben seines einzigen Sohnes Abbe bangt:

 

"Ich bin ein Heide, Madita, das war ich schon immer, darum habe ich keinen Gott, zu dem ich beten kann. Aber vielleicht hast du einen, bete darum für Abbe. Frage ihn nur, was aus E.P. Nilsson werden soll, wenn Er ihm Abbe nimmt. Wie soll es denn weitergehen ohne Abbe, frage ihn das! Und es ist dringend.

Dein im Voraus dankbarer E.P. Nilsson

 

P.S. Wenn Abbe stirbt, hänge ich mich auf, aber das brauchst du Ihm nicht zu erzählen. Doch, tu es ruhig!"

 

Gott anklagen – und nicht mehr leben wollen, wenn das geliebte Kind stirbt – der alkoholkranke, arbeitslose Nachbar der wohlbehüteten Madita darf all dies, ohne dafür verurteilt zu werden. Madita erschrickt nicht vor seinen Worten. Aber sie tut stellvertretend das, was Nilsson verloren gegangen ist: Im Wandschrank ihres Kinderzimmers betet sie für ihren Nachbarsfreund. Und fügt hinzu: Damit Onkel Nilsson sich nicht aufzuhängen braucht.

Aufbegehren gegen den Tod – mit Worten. Auch mit Worten des Gebets.

 

 

 

Aufbegehren gegen den Tod – auch der unerschrockene Michel aus Lönneberga tut dies. Gegen alle Vernunft wagt sich Michel mit Pferd und Wagen in einen Schneesturm, um den todkranken Knecht Alfred zum Doktor zu bringen.

 

"Du sollst da nicht in deinem Bett liegen und sterben, Alfred, nein, das sollst du nicht!"

 

Er muss es wagen, das ist Michel klar – "und wenn sie beide, er und Alfred, dabei draufgehen sollten". Er tut es, weil er Alfred liebt, nicht aus falscher Tollkühnheit. "Man wird stark, wenn man muß"– so erklärt es Michel seinem Pferd, das sich mit ihm gemeinsam durch den Schneesturm kämpft.

 

"‚Lebst du noch, Alfred?' fragte er ängstlich. ‚Nein, jetzt bin ich sicher tot', sagte Alfred mit einer seltsam heiseren, schrecklichen Stimme."

 

‚Nein, jetzt bin ich sicher tot'– darüber konnte ich als Kind befreit lachen inmitten aller Angst und Bangigkeit. Und darüber, dass hier dem Tod ein Schnippchen geschlagen wird.

Michel, stark durch die Liebe, trotzt dem Tod.

In der Geschichte der kleinen Malin hingegen gibt es nichts, das sie lieben könnte und das sie stark macht. Trostlos ist ihr Leben im Armenspital. Nichts Schönes gibt es dort. Nur das Lebensnotwendige. Doch Malin ist gewiss, dass es zum Leben mehr braucht als ein paar Kartoffeln im Bauch. "Klingt meine Linde? Singt meine Nachtigall?"– in jenen Worten aus einem Märchenbuch findet sie ihre Sehnsucht nach Lebendigkeit und Schönheit wieder. So pflanzt sie eine Linde – aus einer verlorenen Erbse.

 

"'Vielleicht ließ Gott in seiner Güte dieses Mal eine Linde aus einer Erbse sprießen. Mit Glauben und Sehnen wird es gelingen,' sagte Malin."

 

Und wirklich wächst eine Linde. Doch der Baum klingt nicht. Glauben und Sehnen scheinen umsonst gewesen zu sein. Aber damit will sich Malin nicht abfinden. Ihr Glauben, ihr Sehnen geht weiter.

 

"Und es kam Malin in den Sinn, dem toten Baum ihre Seele zu schenken. Doch dann dachte sie: ‚Aber ich bin dann nicht mehr da, denn ohne Seele kann niemand leben auf Erden. Doch in der Linde lebe ich dann, bis zum Ende der Zeit wohne ich dann in meinem kühlen, grünen Haus, und die Nachtigall singt für mich. Und alles wird froh.'"

 

Vielleicht kann nur das Kind in mir glauben, dass "alles froh wird". Wenn ich jedoch werde wie ein Kind, begreife ich jene Geschichte von der Unsterblichkeit der Seele und der Macht des Wortes, dann vertraue ich wie der Apostel Paulus : "Wir werden alle verwandelt werden".

 

 

 

Dass der Tod nicht das letzte Wort behält – diese trotzige Hoffnung und den Trost, der darin liegt, finde ich bei Astrid Lindgren – nicht jedoch die Berechtigung, sie als Glaubenszeugin zu vereinnahmen. Offen hat sie über ihre Zweifel und Fragen gesprochen. "Es ist alles eitel und ein Haschen nach Wind"– immer wieder findet sich dieser Satz des Predigers Salomo in ihren Briefen und Aufzeichnungen. Aber gegen Ende ihres Lebens zieht sie den eigenen Zweifel in Zweifel:

 

"Woher wissen die Blumen, daß sie im Frühjahr blühen müssen, woher wissen die Vögel, daß sie singen sollen? Wissenschaftler glauben die gesamte Schöpfung erklären zu können. Aber ich frage mich: Wie kann alles so planmäßig sein? Und wie kann es sein, daß wir Menschen uns so viel mit religiösen Gedanken beschäftigen? Was treibt den Menschen dazu? Also zweifle ich an meinem eigenen Zweifel. Oft."

 

 

 

Ich war etwa 7 Jahre alt, als mich Lindgrens furchtlose Räubertochter mit dem Tod konfrontierte – und mit der Lebendigkeit, denn im Mattiswald sind Todesgefahr und Lebensüberschwang oft nur eine Handbreit voneinander entfernt. Immer wieder sieht die Räubertochter Ronja dem Tod ins Antlitz – und bleibt am Leben. Der greise Räuber Glatzen-Per ist es, der am Ende stirbt – auch wenn Ronjas Vater Mattis den Gedanken daran gar nicht ertragen kann:

 

"‚Das Sterben lässt du schön bleiben! Noch habe ich keinen einzigen Tag meines Erdenlebens ohne dich verbracht, du alter Narr! Du darfst dich nicht einfach heimlich hinlegen und mir wegsterben!'‚Na, mein Jung, wir wollen's abwarten,' meinte Glatzen-Per und schmunzelte vergnügt."

 

Als Glatzen-Per schließlich das Bett nicht mehr verlassen will, wird Mattis unruhig und bestürmt seine Frau Lovis, aber Glatzen-Per ist die Ruhe selbst.

 

"‚So will ich es haben, während ich warte', sagte er. ‚Worauf wartest du denn?' fragte Mattis. ‚Ja, was meinst Du wohl?' fragte Glatzen-Per. Mattis konnte es nicht erraten. Aber er sah mit Sorge, daß Glatzen-Per immer mehr abmagerte, und er fragte Lovis: ‚Was fehlt ihm bloß, was meinst Du?'‚Es ist das Alter' , sagte Lovis.... ‚Aber daran stirbt er doch hoffentlich nicht?'‚Doch, das tut er', sagte Lovis. Da brach Mattis in Tränen aus. ‚Nein, scher dich zum Donnerdrummel', schrie er. "Das erlaub ich nicht!'‚Über vieles bestimmst du, Mattis, aber darüber nicht!'"

 

Über den Tod bestimmst du nicht. Mattis' Erschrecken darüber ist mein eigenes. Glatzen-Per selbst teilt es nicht. Als er am Ende stirbt, tut er dies ohne Furcht. So getrost und heiter wie Astrid Lindgrens hochbetagter Vater, der es bis zum Schluß "wundervoll fand zu leben"– in der unerschütterlichen Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.

 

"'Er ist tot!' Da öffnete Glatzen-Per ein Auge und sah ihn vorwurfsvoll an. ‚Das bin ich ganz gewiß nicht! Glaubst Du, ich hab nicht so viel Anstand, daß ich Abschied nehme, bevor ich mich davon mache?' Dann lag er wieder lange mit geschlossenen Augen da... ‚Aber jetzt', sagte Glatzen-Per und schlug die Augen auf. ‚Jetzt, meine Freunde, nehm' ich Abschied von euch allen! Denn jetzt sterbe ich!' Und dann starb er. Ronja hatte noch nie jemand sterben sehen, und sie weinte eine Weile. Aber in letzter Zeit ist er ja schon müde gewesen, dachte sie. Vielleicht ruht er sich jetzt irgendwo anders aus, wo, daß weiß ich nicht.

Mattis aber ging laut weinend in der Steinhalle auf und ab und schrie: ‚Er ist immer dagewesen! Und jetzt ist er nicht mehr da!' Da sagte Lovis: ‚Mattis, du weißt, daß keiner immer da sein kann. Wir werden geboren, und wir sterben, so ist es seit eh und je. Was jammerst du da?'‚Aber er fehlt mir!' schrie Mattis. ‚Er fehlt mir so sehr, daß es mir ins Herz schneidet!' Und dann saß er bald an Lovis und bald an Ronja gelehnt und weinte sich aus, weinte seine Trauer über Glatzen-Per hinaus, der in seinem Leben immer dagewesen war und jetzt nicht mehr da war."

 

 

 

Zusammen mit Mattis, Ronja und Lovis kann ich schreien und weinen; mich besänftigen lassen und ruhig werden. Das Vermächtnis, das Glatzen-Per Ronja hinterlässt, lautet: Lebe ohne Angst! Und sei gut! So wie es Lindgren für sich selbst notiert hat:

 

"Lebe nicht, als hättest du tausend Jahre vor Dir! Solange du noch lebst, solange du es noch kannst – sei gütig!"

 

Lebe nicht, als hättest Du tausend Jahre vor Dir. Als 18-Jährige entdeckt Astrid Lindgren einen wunderbaren Ausspruch des Dichters Thomas Thorild: "Dieser Tag – ein Leben!" Viele Jahrzehnte später legt sie diesen ihrem alter ego Melcher in der Erzählung "Ferien auf Saltkrokan" in den Mund:

 

"'Dieser Tag ein Leben', murmelte Melcher. ‚Ja, aber das ist ja ganz ausgezeichnet.''Was ist denn da so Ausgezeichnetes dran?' fragte Johann. ‚Das steht hier im Buch', sagte Melcher begeistert. Hier steht ‚Dieser Tag ein Leben'– das bedeutet, man soll gerade an diesem Tag so leben, als hätte man nur diesen einen. Man soll auf jeden einzigen Augenblick achtgeben und spüren, daß man wirklich lebt.'"

 

Die Kostbarkeit des Lebens kennt offenbar keine Ausnahmen. Als Melcher sein Philosophieren kurz unterbricht, um eine zudringliche Wespe totzuschlagen, schreitet sein siebenjähriger Sohn Pelle ein:

 

"'Laß das!' schrie er, ‚laß meine Wespen in Ruhe! Die möchten doch auch so leben, so, wie du sagst.'‚Was hab ich gesagt?', fragte Melcher. Er konnte sich nicht erinnern, daß er etwas über Wespen geäußert hätte. ‚Dieser Tag ein Leben oder wie es gleich war,' sagte Pelle."

 

In Pelle, der "soviel Gerenne in den Beinen hat" finde ich einen, der unbedingt befreundet ist mit dem Leben. Der alles liebt, was lebt. Den Regen, der aufs Dach trommelt, seine Geschwister, die Insel Saltkrokan, zuäußerst im Meer. Wespen inbegriffen. Wer so leidenschaftlich befreundet ist mit dem Leben, wer jeden Tag so auskostet, als sei er der einzige, der empfindet zugleich in besonderer Weise die Bitterkeit des Todes. Kann dann der Tod je etwas anderes sein als der Neinsager, als der Feind, den man fürchtet? Die Biographin Margarete Strömstedt beschreibt ein Interview mit Astrid Lindgren, ein paar Wochen nach dem Tod ihres Sohnes.

 

"In der Fernsehsendung, die wir in jenem Sommer aufnahmen, sagte sie mit leicht gebrochener Stimme: ‚Man muss leben, damit man sich mit dem Tod anfreundet.' Pause. Dann leise, fast unhörbar: ‚Glaube ich, tra, la, la.'"

 

Dieser Tag, ein Leben! Sei gütig! Jetzt! Das fällt mir schwer genug. Doch die Vorzeichen umkehren – und sich mit dem Tod anfreunden? Wie könnte mir das je gelingen? Mit Lebendig sein – mit Hoffen und Sehnen, so wie Michel, Madita, Ronja und die Brüder Löwenherz. Und im Vertrauen, dass Gott es ist, der der Feindschaft ein Ende macht, so wie es der Apostel Paulus schreibt: Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod.'‚Wir werden verwandelt werden.' Das ist meine Sehnsucht. Dass Gott mich lebendig macht an jedem Tag meines Lebens. Und mich lebendig machen wird am Ende meiner Tage.

 

 

 

 

Musik dieser Sendung:     
(1) När som elden, Plommon, Plommon: Sah!

(2) Vallat fran Jämtland, Jan Johansson / Georg Riedel, Jazz pa svenska. Swedish folk songs

(3) Nur är det synd om de döda, Kraja, Brusand Hav

(4) Leksands skänklat, Jan Johansson / Georg Riedel, Jazz pa svenska. Swedish folk songs

(5) Danza, Tom Daun, Blue Strings. Musik für keltische Harfe

(6) Visa fran Utanmyra, Jan Johansson / Georg Riedel, Jazz pa svenska. Swedish folk songs

 

När som elden din icke mera brinner,

och bergena de blevo vax.

Och när floden din icke mera rinner,

och i skogarne man fangar lax.

När som höken har blivit en duva,

och bromsarne de bliva bi.

Och när storken har blivit en fluga,

ja, da först kan jag övergiva dig.

 

Wenn Dein Feuer nicht mehr brennt

Und die Berge sich in Wachs verwandeln

Und Dein Fluß nicht länger fließt

und man die Lachse im Wald fangen muss

Wenn der Habicht sich in eine Taube verwandelt

Und die Bremsen in Bienen

Und der Storch eine Fliege wird

- nur dann kann ich Dich verlassen.

 

(Musik: Trad. Skane / Frida Rosén)

 

Nu är det synd om de döda

som ej fa sitta i varens tid

och värma sig i solen

pa ljus och ljuvlig blomsterlid

Men kanske viskade de döda

da ord till vivan och violen

som inga levande förstar

De döda veta mer än andra

och kanske skulle de när solen gar

da med en glädje djupare än var

bland kvällens skuggor ännu vandra

I tankar pa den hemlighet

som bara graven vet

 

Es ist traurig um die Toten

die den Frühling nicht erleben

und sich nicht zwischen hellen, lieblichen Blumen

von der Sonne wärmen lassen können.

Aber vielleicht flüstern die Toten

der Schlüsselblume und dem Veilchen

etwas zu, was kein Lebender versteht.

Die Toten wissen mehr als andere

und vielleicht werden sie, wenn die Sonne untergeht

trotzdem mit tieferer als unserer Freude

zwischen den Schatten des Abends wandeln

in Gedanken an das Geheimnis

das nur das Grab kennt.

 

(Musik: Eva Lestander / Text: Verner von Heidenstam / Arr.: Lisa Lestander)

 

Fragen und Antworten zum Tod

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Teil 1
Beerdigung, Totenbett und Bestattungen

Foto: Craig Holmes/Stocksy

Redaktionspfarrer Frank Muchlinsky beantwortet praktische Fragenzum Thema Tod und Trauer, wie zur Beerdigung, Totenbett und Bestattungen.

Im November wird es merklich dunkler in Deutschland. Bevor die Adventszeit kommt, werden Kerzen auf Friedhöfen angezündet. Der Tod wird zum Thema. Die Toten kommen ins Gedächtnis. Für viele Menschen drängen sich Fragen in den Vordergrund, die sie sich sonst lieber nicht stellen.

Ich beantworte auf evangelisch.de seit Jahren Fragen zu allen Themen, die mit Glauben, Religion und Kirche zu tun haben. Häufig sind Fragen zu Tod, Sterben, Beerdigung und auch zum Leben nach dem Tod darunter. Ich habe einige Fragen herausgesucht, die typisch sind für das, was mich auf fragen.evangelisch.de erreicht.

Bibel und Beerdigung: Sagt nicht Jesus: "Lasst die Toten ihre Toten begraben"? Sind damit tatsächliche Tote gemeint?

Am Totenbett: Was ist eine "Aussegnung"? Was geschieht dabei?

Beerdigung: Dürfen auch Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, kirchlich bestattet werden?

Urnenbestattung: Ist es christlich vertretbar, sich nach dem Tod verbrennen zu lassen?

Kirchenjahr: Warum wird gleich zweimal am Ende des Kirchenjahres der Tod zum Thema?

Am 10. November geht es weiter mit Fragen zu dem "Danach". Sie Können selbstverständlich auch eigene Fragen stellen.

"Liebe Oma, schade dass du schon verstorben bist"

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Grundschul-Kunstprojekt thematisiert Sterben und Tod auf kindgerechte Weise
Kinder schreiben oder malen "Liebesbriefe" an verstorbene Menschen oder Tiere.

Foto: epd-bild/Daniel Staffen-Quandt

Kinder schreiben oder malen "Liebesbriefe" an verstorbene Menschen oder Tiere. Die Werke der Kinder sollen demnächst auf den Friedhöfen in Waldbrunn und Eisingen ausgestellt werden.

Kinder trauern anders. Die Trauerphasen sind meist kurz und heftig, gefolgt von Unbeschwertheit und Freude. Ein Kunstprojekt mit Grundschülern dokumentiert die Gefühle und Gedanken der Kinder. Ausgestellt werden sollen die Werke nun auf dem Friedhof.

Manchmal musste Hannelore Hübner ziemlich schlucken. Zum Beispiel, wenn ihre Schüler über tote Geschwister geschrieben haben. Oder die nicht selbst gekannte Großmutter: "Liebe Oma, schade dass du schon verstorben bist." Neben diesen Satz sind Wolken gemalt, darunter eine Blumenwiese - alles in weiß. Mehr als 200 Blätter Blindenfolie mit Wort und Bild gewordenen Gedanken von Grundschülern zum Thema Trauer und Tod sind in den vergangenen Monaten zusammengekommen. Nun sollen die kindlichen Notizen in Eisingen und Waldbrunn bei Würzburg ausgestellt werden, als Denkanstöße und Gesprächsgrundlage.

Die Idee zu dem Projekt hatte die katholische Religionslehrerin nicht selbst. Sie beschäftigt sich zwar seit Jahren mit dem Thema Trauer bei Kindern und in der Schule - Hübner ist nämlich auch Mitglied des Teams Krisenseelsorge in der Schule im Bistum Würzburg. Im März 2017 war sie bei einer Fortbildung der Kunstpädagogin Marielle Seitz - die "Briefe, die zum Himmel fliegen" hieß, ebenso wie eines von Seitz' Büchern. Kern der Fortbildung war das Kunstprojekt "Liebensbriefe", bei dem Kinder oder Jugendliche Briefe an Verstorbene zeichnen oder schreiben. "Mitten aus dem Leben schreiben Kinder liebe Briefe an Tote", erläutert Hübner.

Tränen gab es auch

Ihr Vorhaben, das Projekt an der Grundschule Eisingen-Waldbrunn zu starten, kam gut an. Statt es nur in ihrem eigenen Religionsunterricht anzubieten, wurde es auf die ganze Schule ausgeweitet. "Wir haben die Eltern natürlich vorher um ihr Einverständnis gebeten - und die meisten hatten überhaupt keine Bedenken", erinnert sich Hübner: "Wir wollten im Vorfeld von den Eltern auch wissen, ob es gerade akute oder noch nicht ganz aufgearbeitete Trauerfälle gibt, damit wir darauf eingehen können." So spielerisch das Projekt auch mit dem Thema Tod und Trauer umgeht - Tränen gab es dabei "mal in jeder Klasse", sagt Hübner.

Der Ablauf war in den Klassen eins bis vier immer der gleiche. Die Kinder bekommen die Blindenfolie - ein matt-transparent-weißes Papier - sowie Ölkreide und einen weißen Stift. Es folgt nur noch die Arbeitsanweisung, den Brief an verstorbene Tiere oder Menschen zu schreiben, los geht's. "Die Schüler sind kindlich-intuitiv ohne viele Fragen an das Thema ran", erinnert sich Hübner. Bei den jüngeren seien die Bilder und Worte "nicht zu sehr reflektierend" gewesen, aber doch ergreifend. Nach maximal 30 Minuten waren die Briefe fertig: "Wenn sie das Projekt mit Erwachsenen machen, würden die erst mal eine halbe Stunde nur überlegen."

Kinder haben Trauerpfützen

Herausgekommen sind Briefe an ein verstorbenes Haustier, wie zum Beispiel: "Liebe Gregoria, ich vermisse dich sehr. Aber du bist für immer in meinem Herzen!" Oder an einen unbekannten Erwachsenen: "Lieber Ernst, schade, dass Du schon tot bist." Die Briefe seien ein Ausdruck dessen, wie Kinder trauern. Nämlich meist heftig in kurzen Phasen. "Für Kinder gibt es kein Trauermeer wie bei uns Erwachsenen, es sind kleine Trauerpfützen. Sie springen hinein und wieder hinaus", weiß Hübner. Für Erwachsene wirke es oft befremdlich, dass Kinder aus einer tiefen Trauer heraus plötzlich wieder unbeschwert zu spielen beginnen.

Alle "Liebensbriefe" sollen nun zusammen ausgestellt werden, im Freien, aufgehängt in zwei bis drei Reihen übereinander. "Allerdings nicht auf Erwachsenen-, sondern auf Kinderhöhe", sagt die Religionspädagogin. Denn die Ausstellung soll eine Anregung für die Erwachsenen sein, über die Gefühle zum Thema Tod und Trauer mit ihren Kindern zu sprechen, erläutert sie. Gezeigt werden sollen sie in der Woche der Herbstferien zuerst auf dem Friedhof Eisingen - hinter der Aussegnungshalle auf der Wiese. Zwei Wochen nach den Ferien wandern die "Liebensbriefe" dann nach Waldbrunn auf den dortigen Friedhof.

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Das glauben die Kinder der Welt
Das glauben die Kinder der Welt



Hiob in Bad Vilbel

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Podiumsdiskussion in Bad Vilbel mit Nikolaus Schneider und Samuel Koch
Pfarrer Klaus Neumeier diskutiert mit Nikolaus Schneider und Samuel Koch über Verluste, Schicksalschläge und Trauer.

Foto: Max Knieriemen

Pfarrer Klaus Neumeier diskutiert mit Nikolaus Schneider und Samuel Koch über Verluste, Schicksalschläge und Trauer.

Zwei Schicksale, zwei Christen, zwei Strategien, um mit schweren Lebenssituationen umzugehen. Zum Trauermonat November erzählen Samuel Koch und Nikolaus Schneider beim Talk unterm Turm in Bad Vilbel, wie sie mit Verlust und Trauer umgehen.

Der November ist die Zeit, in der es Verluste zu betrauern gibt. Die Blätter fallen von den Bäumen, der Regen macht es draußen ungemütlich, aber es ist auch die Zeit, in der sich Menschen bei Kerzenschein gemütlich zusammenfinden, um gemeinschaftlich die Verluste zu verwinden. So passiert in der Kirchengemeinde Bad Vilbel beim "Talk unterm Turm". Der sechseckige Saal war hell erleuchtet und voll besetzt, schließlich konnte Pfarrer Klaus Neumeier stellvertretend für die Christuskirchengemeinde an diesem Abend prominente Gäste begrüßen: Samuel Koch und Nikolaus Schneider redeten über das Leben, Gott und ihren Weg durch schwierige Zeiten.

Beide haben Erfahrung mit Verlusten. Schauspieler Samuel Koch war Leistungsturner, sitzt aber seit seinem Unfall bei der Fernsehshow "Wetten, dass...?" aufgrund einer Querschnittslähmung im Rollstuhl. Nikolaus Schneider war Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), trat aber vom Amt zurück als seine Frau Anne an Krebs erkrankte. Jahre zuvor war seine Tochter Meike an Leukämie gestorben. Gleich zu Beginn kam zur Sprache, was beiden im Leben am wichtigsten ist und sicher auch am meisten geholfen hat: Freunde und Beziehungen. Laut Nikolaus Schneider der Faktor, der seinem Leben Halt gibt, "ein Netz, das trägt und beschwingt".

Als seine Tochter Meike starb, waren es Freunde, die der Familie beistanden. Nicht mit großen Worten, sondern mit kleinen Taten: "Sie haben Suppe gekocht" und mit dieser simplen Geste verdeutlicht, dass das Leben trotz allem weitergeht. Natürlich drängt sich in solch einer Lebenssituation für einen Theologen wie Nikolaus Schneider die Geschichte von Hiob auf. Auch dort habe sich eine "grundlegende Form der Solidarität gezeigt: einfach da sein. Als die Freunde zu Hiob kamen, haben sie drei Tage geschwiegen." Nikolaus Schneider konnte diese Situation auf sein eigenes Umfeld übertragen.

Auch der Zweifel an Gott kann legitim sein

Aber natürlich gibt es keine Patentlösung, wie man Freunden, die Verluste zu überwinden haben, beistehen kann. Einen richtigen Ratschlag für Menschen, die in solchen Situationen eher Distanz suchen, hatte Samuel Koch auf Nachfrage von Pfarrer Neumeier nicht wirklich: "Das hängt immer stark vom Einzelfall ab." Er selbst macht Turnerkollegen, die sich nach seinem Unfall distanziert haben, keinen Vorwurf. Die Strategie in seinem Umfeld sah zum Teil anders aus. "Wenn ich damals in den Spiegel geschaut habe, war ich ein Häufchen Elend." Allerdings wollte er nicht nur Mitleid von seiner Umgebung. Seinen Freunden habe er damals - möglicherweise weniger vornehm ausgedrückt - gesagt: "Ihr habt die Lizenz zum Gesäßtritt!" Für Koch ist klar: "Es gibt auch eine gesunde Form von Ablehnung."

Das gilt auch und gerade in der Beziehung zu Gott. Klaus Neumeiers Frage, ob man zornig auf Gott sein dürfe, beantwortete Nikolaus Schneider definitiv mit Ja: "Das ist Ausdruck einer lebendigen Beziehung zu Gott. Ich weiß jetzt nicht wie Gott darüber denkt, aber meiner Erfahrung nach, auch aus biblischen Geschichten, hält er das durchaus aus." Und gerade im Hinblick auf den Tod seiner Tochter ist Nikolaus Schneider nicht im Reinen mit Gott: "Bis dahin hatte ich immer gesagt, Gott meint es doch überwiegend gut mit mir. Aber das ist so eine Geschichte, die ich nicht ganz verstehe." Seine Frau habe sogar für einige Zeit aufgehört zu beten, weil sie ein Stück weit das Vertrauen in Gott verloren habe, er selbst hat ein Verlangen danach Gott zur Rede zu stellen. "Wenn ich einmal vor ihm stehe, gehe ich getrost auf ihn zu und sage: Das war doch nicht nötig."

Denn auch der Zweifel an Gott ist legitim. Im Umgang mit Zweiflern an Gott hat der Schauspieler Samuel Koch viel Erfahrung. Er bewegt sich in einem Milieu, das dem Glauben nicht nahe steht. Dort stößt seine Lebensart durchaus auf Verwunderung: "Wie, Du hast nur eine Frau?" Das müsse man mit Toleranz nehmen, sagt Koch. Was ihm hilft, ist der Kontakt mit gläubigen Freunden und das gemeinsame Gebet, sei es auch am Telefon.

Zum Abschluss hatte das Publikum die Möglichkeit Fragen ans Podium auf Zetteln abzugeben: "Haben Sie sich schonmal gefragt 'warum ich?'" Nikolaus Schneider konnte das nicht verleugnen, aber er meinte, diese Frage führe in eine Sackgasse. Er frage lieber: "Wozu ich?" Und so gewendet gibt es sowohl für ihn als auch für Samuel Koch durchaus Argumente, die ihren Schicksalsschlägen zumindest einen Sinn geben. Schließlich gehen beide offensiv mit dem Thema um und konnten mit ihren Büchern viele Menschen erreichen und ihnen helfen, eigene Schickssalsschläge zu verarbeiten. Das sahen auch die Besucher in Bad Vilbel so.

Die Reaktionen der Besucher

Angriffe auf jüdische Friedhöfe werden selten aufgeklärt

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Nur in vier von 76 Fällen seit 2014 Täter ermittelt
Zerbrochener jüdischer Grabstein mit dem Schriftzug "Friede seiner Asche" am jüdischen Friedhof in Berlin-Prenzlauer Berg.

Foto: imago stock

Zerbrochener jüdischer Grabstein mit dem Schriftzug "Friede seiner Asche" am jüdischen Friedhof in Berlin-Prenzlauer Berg.

Unpolitischer Vandalismus oder tiefsitzender Judenhass? Seit 2014 gab es 76 Übergriffe auf jüdische Friedhöfe - nur etwa fünf Prozent der Taten wurden aufgeklärt. Die Hintergründe:

Angriffe auf jüdische Friedhofe werden nur selten aufgeklärt. Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hervorgeht, gelang es seit 2014 nur in vier von 76 Fällen, die Verantwortlichen zu ermitteln. Die Gesamtzahl umfasst die Jahre von 2014 bis 2016 sowie das erste Halbjahr 2017. Laut dem auf den 16. August datierten Dokument, über das zuerst der "Tagesspiegel" (Dienstag) berichtete und das auch dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, könnte sich die Zahl durch Nachmeldungen noch erhöhen.

2014 gab es den Angaben zufolge 27 Übergriffe auf jüdische Friedhöfe in Deutschland, 2015 insgesamt 22, 2016 18 und in diesem Jahr bis Ende Juni neun Übergriffe. Rund ein Drittel der Schändungen wurde in den ostdeutschen Bundesländern ohne Berlin registriert. Drei aufgeklärte Fälle gab es 2014, 2015 einen weiteren. Seitdem wurde kein Übergriff mehr aufgeklärt.

Die geringe Aufklärungsquote spreche "für mangelnde Sensibilität und Schwerpunktsetzung bei Polizei und Staatsanwaltschaft", sagte Pau dem "Tagesspiegel". Vermutlich würden manche Angriffe als unpolitischer Vandalismus abgetan. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, die Schändung der Friedhöfe sei "Ausdruck eines menschenverachtenden, tiefsitzenden Judenhasses". Er gehe davon aus, "dass die Polizei in allen Bundesländern gewissenhaft und intensiv die Täter verfolgt" und "dass sie dafür personell ausreichend ausgestattet ist". In Deutschland gibt es etwa 2.000 jüdische Friedhöfe.

Einfach mal verwildern lassen

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Umweltschützer und Kirchen werben für mehr Natur auf Friedhöfen
Ein Grabkreuz im verwilderten hinteren Teil des St. Hedwigs - Friedhof im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen.

Foto: epd-bild / Rolf Zöllner

Ein Grabkreuz im verwilderten hinteren Teil des St. Hedwigs-Friedhof im Berliner Stadtteil Hohenschönhausen.

Ganz schön viel Leben: Viele alte Friedhöfe sind Rückzugsort für seltene Tiere und Pflanzen. Naturschützer kämpfen dafür, dass es noch mehr werden, wollen weg von Kies und Stein. Die Nachfrage nach Umwelt-Beratung überrascht selbst die Experten.

Nein, ein Ort der Stille und des Todes ist der Friedhof für den Hobby-Vogelkundler Andreas Kepper nicht. "Man kann zu jeder Tages- oder Jahreszeit etwas hören", erzählt Kepper, der sich bei der Naturschutzorganisation Nabu ehrenamtlich engagiert. Rotkehlchen, Buntspechte und auch die knallgrünen Halsband-Sittiche, die sich im milden Rheingebiet mittlerweile heimisch fühlen, fliegen über den Friedhof im Bonner Westen hinweg. Mit leisem Gezwitscher lassen sie sich auf dem Geäst neben Parkbank oder Grab nieder.

In den immergrünen Hecken bauen sie ihre Nester, suchen zwischen Wegen und Wiesen nach Futter. "Die Wohngebiete sind eng bebaut, Friedhöfe sind als Naturbereich deshalb wichtig", erklärt Kepper. "Die Vögel können so eben mitten in der Stadt sein - und nicht nur im Wald."

Ein bunter, naturbelassener Friedhof

Schon seit Jahrzehnten wissen Naturschützer Friedhöfe als Orte des Artenerhalts zu schätzen. Vor allem alte Begräbnisstätten sind mittlerweile Heimat für viele Tiere wie Habichte, Mäusebussarde oder auch Fledermäuse. "In Berlin wurde fast die Hälfte der Brutvogelarten auf Friedhöfen nachgewiesen", sagt Katrin Koch vom Nabu Landesverband Berlin. "Die Vogelwelt kann ähnlich vielfältig sein wie in gut strukturierten Wäldern."

In den Gebüschen bauen Bodenbrüter wie das Rotkehlchen, die Nachtigall und der Zaunkönig ihre Nester. Aber auch Igel, Mäuse, Käfer und Spinnen überwintern im Gehölz. "Je bunter ein Friedhof gestaltet wird - mit blühenden, möglichst heimischen Pflanzen - desto mehr Insekten gibt es da. Und die wiederum locken als Futterquelle die größeren Tiere an", sagt Koch.

Ein bunter, möglichst naturbelassener Friedhof ist vielerorts jedoch eine Seltenheit. Denn für viele Menschen soll die Grabpflege vor allem eins sein - pflegeleicht. Glatt polierte Steinplatten, ein Kiesbett oder ein vom Gärtner akkurat gestutzter Rasen mögen zwar wenig Arbeit machen. Aus der Sicht von Naturschützern ist das jedoch wenig sinnvoll. Denn auf polierten Steinen könnten noch nicht mal Flechten wachsen.

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Game Over: Neue ungewöhnliche Grabsteine
Game Over: Neue ungewöhnliche Grabsteine

Statt Steinplatten schlägt Koch deshalb heimische Sträucher und Blumen vor. Herbstlaub sollte nach Möglichkeit unter Hecken und Gebüschen belassen werden, damit kleinere Tiere dort überwintern können. Für die Grabpflege sollten keine Chemikalien und kein Torf verwendet werden. Die dunkle Erde sieht zwar edel aus, sorgt jedoch für einen weiteren Abbau der stark schrumpfenden Moore in Deutschland.

Man müsse man gar nicht viel tun, um Tieren und Pflanzen etwas mehr Raum zu geben, sagt Koch. "Es geht nicht nur darum, etwas Bestimmtes zu pflanzen, sondern dass man nicht alles weghackt, was rüberwächst."

Staudengräber auf dem Waldfriedhof in Celle. Sie bieten Vielfalt für die Tiere, mehr als Kies und Stein.

Doch auch die Friedhofsbetreiber können etwas für die Arterhaltung tun. Das Projekt "Biodiversität auf kirchlichen Friedhöfen" der hannoverschen Landeskirche richtet sich an die Gemeinden und versucht, für mehr Natur zu werben. Umweltreferent Reinhard Benhöfer betreut das Projekt.

"Unsere Umweltarbeit hatte sich bis 2013 fast ausschließlich um das Thema Klimaschutz und Energieeinsparung gekümmert", sagt er. Doch auf einmal rückte das Thema Artenerhalt in den Fokus und die Frage, was Kirche dafür tun kann. Schnell kristallisierte sich heraus, dass vor allem Friedhöfe Flächen sind, auf denen ein Wandel vorangetrieben werden kann. Viele Friedhöfe haben wirtschaftliche Schwierigkeiten. "Das ist eine super Gelegenheit zu sagen: Wir müssen etwas entwickeln, was sowohl der Biodiversität dient als auch die Wirtschaftlichkeit fördert."

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Wo Prominente in Frieden ruhen
Wo Prominente in Frieden ruhen

Seit einigen Jahren bietet er nun mit Kollegen Seminare an und unterstützt Gemeinden beim Umwelt-Management. Ungenutzte Freiflächen werden mit Hilfe von Experten ökologisch aufgewertet. "Ein Beispiel: Aus einem Rasen, bei dem Mähen und Düngen hohe Kosten verursachen, kann man auch eine Streuobst- oder Blumenwiese machen", sagt Benhöfer. Die Nachfrage habe alle völlig überrascht. "Es gibt ein wachsendes Bewusstsein, dass wir ein Problem mit der Artenvielfalt haben - Stichwort Insektenschwund", erklärt er sich das Interesse.

Dennoch würde der Umweltreferent jedem Menschen auch weiterhin die Freiheit lassen, das Grab so zu gestalten, wie er es möchte. "Jeder hat unterschiedliche Vorstellungen von einem schönem Grab - und das muss auch erlaubt bleiben." Andreas Kepper von der Naturschutzorganisation Nabu sieht das ähnlich: "Ein solcher Grabplatz ist natürlich ideal", sagt er und zeigt auf eine verwilderte Ecke des Bonner Friedhofs. Efeu rankt sich die Steinplatte hoch, die Inschrift ist kaum noch zu entziffern. Für die Tiere scheint dies ein idealer Platz zu sein. "Doch ich verstehe, wenn das nicht jedem gefällt."

Sterbehilfe-Arzt vom Landgericht freigesprochen

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Rauch steigt von dem erloschenen Docht einer Kerze auf.

Foto: Getty Images/iStockphoto/mingman

Die Große Strafkammer des Hamburger Landgerichts hat den Sterbehilfe-Arzt Johann S. (75) freigesprochen. Zwei Hamburgerinnen im Alter von 81 und 85 Jahren hatten im Beisein des Arztes aus Datteln in Nordrhein-Westfalen am 10. November 2012 ein tödlich wirkendes Medikament eingenommen.

Die beiden Frauen hätten "ernsthaft" und mit "innerer Festigkeit"über längere Zeit den Wunsch verfolgt, zu sterben und eine entsprechende Patientenverfügung verfasst, sagte der Vorsitzende Richter Matthias Steinmann in der Urteilsbegründung. (AZ 3490 Js 76/12)

Die Staatsanwaltschaft hatte dem Arzt Totschlag vorgeworfen und sieben Jahre Haft gefordert. Sie warf dem Neurologen und Psychiater vor, dass er die beiden Frauen falsch beraten und keine Alternativen zum Suizid angeboten habe. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert.

Beide Frauen hatten sich zwei Jahre vor ihrem Suizid an den Verein Sterbehilfe Deutschland des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch gewandt. Ein Video mit dem Beratungsgespräch blieb jedoch trotz Hausdurchsuchungen verschwunden. Der ehemalige CDU-Politiker hatte den Arzt für ein Gutachten vermittelt, war selbst aber nicht angeklagt.

Die beiden Frauen hätten aktiv im Leben gestanden, führte Richter Steinmann aus. Sie hätten Reisen unternommen, Fitness betrieben und Verwandte besucht. Sie hätten altersbedingte Beschwerden, aber keine lebensbedrohenden Krankheiten gehabt. Offenbar hätten sie aber Angst vor einer Pflegedürftigkeit gehabt und Sorge, dass ihre Finanzen nicht ausreichten. Steinmann: "Wir müssen es auch nicht verstehen."

Das Gericht geht davon aus, dass der Verein Sterbehilfe das tödliche Malaria-Medikament besorgt hat, das die Frauen mit einem Medikament gegen Übelkeit und einem Schlafmittel eingenommen hatten. Der Arzt war bei der Einnahme anwesend und rief eine halbe Stunde nach Atemstillstand die Polizei.

Der Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung treffe ihn dennoch nicht, so das Gericht, weil die beiden Frauen lebensverlängernde Maßnahmen ausdrücklich abgelehnt hätten. Eine Rettung wäre ohnehin sehr unwahrscheinlich gewesen. Auch ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz komme angesichts der geringen Mengen nicht in Betracht.

Ende 2015 ist ein neues Bundesgesetz in Kraft getreten, das die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Damit soll Sterbehilfe-Organisationen die rechtliche Grundlage entzogen werden. Da der Fall aber länger zurückliegt, kommt das Gesetz in diesem Fall nicht zur Anwendung.

Fragen und Antworten zum Tod - Teil 2

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Nach dem Tod

Foto: Marie Anne/photocase

Wer über den Tod nachdenkt, fragt irgendwann auch nach dem Danach. Sehen wir unsere verstorbenen Liebsten wieder, müssen wir uns fürchten? Wie sprechen wir mit Kindern über das Thema?

Im zweiten Teil meiner Auswahl von Fragen und Antworten zum Tod geht es vor allem um die Frage, was mit den Verstorbenen geschieht. Christinnen und Christen hoffen auf die Auferstehung und ein Leben nach dem Tod. Allerdings streitet diese Hoffnung mit dem, was wir erleben.

Darum kann man sich zu Recht fragen, ob Christen, die es mit ihrem Glauben ernst nehmen, sich denn vor dem Tod fürchten "dürfen".

Kann man für Verstorbene beten? Was würde das bringen?

Wie kann man mit Kindern über den Tod reden? Sollte man das überhaupt?

Werden wir unsere lieben Verstorbenen "oben" wiedersehen, wenn wir selbst sterben?

Und nicht zuletzt: Was ist eigentlich mit dem Jüngsten Gericht? Wird nicht nach dem Tod abgerechnet? Dazu können Sie hier eine Folge unserer Serie AHA hören, in der ich mit Claudius Grigat über dieses Thema spreche.

Selbstverständlich können Sie auch weiterhin Ihre Fragen stellen. Klicken Sie einfach auf den blauen Frage-Kasten.

Kirche in Sutherland Springs soll abgerissen werden

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Die Baptisten-Kirche in Sutherland Springs (Texas), in der 26 Menschen bei einem Blutbad getötet wurden, soll abgerissen werden.

Die First Baptist Church in Sutherland Springs (Texas), in der der 26-jährige Devin Patrick Kelley am Sonntag ein Blutbad angericht hatte, soll nach Angaben des örtlichen Pfarrers Frank Pomeroy abgerissen werden. Diese Entscheidung habe er den führenden Mitgliedern der Southern Baptist Convention mitgeteilt. Die Kirche, in der 25 Gottesdienstbesucher sowie das ungeborene Baby einer Schwangeren erschossen und 20 weitere Menschen verletzt wurden, könne nicht mehr als Ort des Gebets genutzt werden, weil es zu schmerzhaft sei, so Pfarrer Frank Pomeroy.

Der Sprecher der Southern Baptist Convention, Robert "Sing" Oldham, sagte gegenüber Journalisten, Pfarrer Pomeroy habe im Gespräch mit Vertretern der Southern Baptist Convention die Hoffnung geäußert, das Gelände stattdessen in einen Gedenkort für die Toten zu verwandeln und auf einem anderen Grundstück der Kirche ein neues Gebäude zu errichten. Dem stimmen US-Medienberichten zufolge auch einige Überlebende des Angriffs und die Familien der Opfer zu. Eine Mutter, die ihre 16-jährige Tochter bei dem Massaker verlor, sagte einen Journalisten der Nachrichtenagentur AP, es solle in Sutherland Springs weiterhin eine Kirche geben, jedoch nicht an diesem Ort.

Wo Prominente in Frieden ruhen

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Zu Lebzeiten liefen sie über den roten Teppich. Und auch im Tod bekommen einige von ihnen viel Aufmerksamkeit, wenn Fans zu den Gräbern der Prominenten pilgern. So sehen die Grabsteine von Loriot, Marlene Dietrich oder Udo Jürgens aus.

Diese Galerie haben wir zum ersten Mal im November 2015 veröffentlicht und seitdem mit weiteren prominenten Grabstellen erweitert.


UN: Fast 3.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gestorben

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Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch retten am 06.11.2017 auf dem Mittelmeer Flüchtlinge.

Foto: dpa/Lisa Hoffmann/Sea-Watch.org

Mitarbeiter der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch retten am 6. November 2017 Flüchtlinge auf dem Mittelmeer.

Mindestens 2.961 Flüchtlinge und Migranten sind laut Vereinten Nationen bislang in diesem Jahr bei der gefährlichen Überquerung des Mittelmeers gestorben. Die meisten von ihnen, 2.749, kamen auf der sogenannten zentralen Route zwischen Libyen und Italien ums Leben, teilte die Internationale Organisation für Migration der UN am Freitag in Genf mit.

Im vergangenen Jahr waren es demnach von Anfang Januar bis zum 8. November 4.303 Tote. Doch die Dunkelziffer könnte nach den Angaben zufolge für beide Jahre deutlich höher liegen. Die meisten Menschen ertranken. Viele der Schlepper-Boote, in denen die Männer, Frauen und Kinder Europa erreichen wollten, seien für die Fahrt nicht geeignet.

Im laufenden Jahr erreichten den Angaben nach 156.000 Menschen die Küsten Europas. Das seien deutlich weniger als im Vorjahr. Von Anfang Januar bis zum 8. November 2016 erreichten demnach mehr als 340.000 Menschen über das Mittelmeer Europa.

Hauptgrund für den Rückgang sei die Schließung der sogenannten Balkanroute, auf der Flüchtlinge und Migranten über Griechenland weiter in den Norden Europa gereist waren.

Drei von vier Migranten und Geflüchtete erreichten in diesem Jahr den Kontinent an den Küsten Italiens. Die anderen verteilten sich laut der internationalen Migrationsorganisation auf Griechenland, Zypern und Spanien. Die Herkunftsländer der Menschen, die 2017 in Italien ankamen, lagen den Angaben zufolge hauptsächlich in Afrika.

 

 

 

Mapapus: Die kleinen Seelen-Tröster

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"Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet." (Jes 66,13). Das war die ökumenische Jahreslosung für 2016. Trost brauchen wir alle in schweren Situationen. In Tostedt bei Hamburg werden in der Nähwerkstatt von Jennifer Arndt-Lind und Hendrik Lind kleine Seelen-Tröster für verwaiste Eltern und Geschwisterkinder hergestellt, die trösten wie ein Stofftier und dabei noch nach Mama oder Papa duften. Die "Mapapus" (MAmaPApaPUppe) sind Kuscheltiere, hergestellt aus T-Shirts und Erinnerungsstücken der vermissten oder verstorbenen Menschen. Sie machen ihre therapeutische Arbeit so gut, dass die Johanniter sie für ihr Projekt "Seelen-Tröster" für trauernde Kinder engagiert haben.

Das Video wurde am 5. Januar 2016 erstmals auf evangelisch.de veröffentlicht.

Mehr zu Jahreslosung 2015

Leben aus dem Tod?

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Vor 25 Jahren löste der Fall des "Erlanger Babys" eine Welle der Empörung aus
Blick auf die Frauenklinik der Universitätsklinik Erlagen

Foto: dpa/Daniel Karmann, lby

2009 hat weltweit erstmals eine Frau im Wachkoma ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Nach Auskunft der Uniklinik Erlangen hatte die Frau in der 13. Schwangerschaftswoche nach einem Herzinfarkt einen Herz- Kreislauf-Stillstand erlitten.

Im Oktober 1992 beschließen Ärzte der Uniklinik Erlangen etwas kaum Vorstellbares: Sie erhalten eine hirntote schwangere Frau künstlich am Leben, damit sie ihr Kind austrägt. Es hagelt massive Kritik. Der umstrittene medizinische Versuch scheitert.

Die Erlanger Mediziner gehen ein großes Wagnis ein, denn das Unfallopfer ist erst in der 14. Woche schwanger. Ihr Plan: Obwohl bei der jungen Frau der Hirntod festgestellt wurde, soll das ungeborene Kind leben. Am 16. November 1992, vor 25 Jahren, kommt es jedoch zu einer Fehlgeburt, die Beatmungsmaschine wird abgestellt.

"Wohl noch nie in der Bundesrepublik hat die medizinische Behandlung eines Menschen eine vergleichbar heftige Diskussion und über weite Strecken voyeuristische Begleitung erfahren, wie die der sterbenden Marion P.", urteilt der Rechtsanwalt und Autor Oliver Tolmein.

Die 18-Jährige ist am 5. Oktober 1992 mit ihrem Wagen auf der Landstraße unterwegs. Aus ungeklärter Ursache kommt die Zahnarzthelferin von der Fahrbahn ab, ihr Auto prallt gegen einen Baum. Sie erleidet ein Schädelhirntrauma, die linke Augenhöhle und Schädelknochen sind zertrümmert. Ein Hubschrauber fliegt das Unfallopfer in die Universitätsklinik ins fränkische Erlangen.

Schwangere hirntot, Fötus offenbar unverletzt

Drei Tage später wird Marion P. für hirntot erklärt, weshalb die Mediziner Vorbereitungen für eine Organspende treffen. Doch dann stellen sie fest, dass die junge Frau schwanger und der Fötus offenbar unverletzt ist.

Die Ärzte entschieden nach internen Beratungen gegen den Willen der Eltern, dass die lebenserhaltenden Apparate angeschaltet bleiben: Die junge Frau soll den Fötus bis zur Geburtsreife austragen. Das Gremium befindet, "dass der verstorbenen Mutter die Benutzung ihres Körpers zugunsten des Kindes" zuzumuten sei, wie es der behandelnde Oberarzt Johannes Scheele laut Medienberichten formuliert. Er will sich heute nicht mehr zu den damaligen Ereignissen äußern. Nach 40 Tagen mit verschiedenen Komplikationen kommt es dann nach einer Infektion zur Fehlgeburt.

Der einzige Fall dieser Art war das nicht. Für eine 2010 in Großbritannien erschienene Studie wurden 30 ähnliche Fälle weltweit untersucht. Demnach kamen nur zwölf Kinder zur Welt, die die Neugeborenenphase überlebten. Vor allem jene Föten hatten eine Überlebenschance, bei denen die Schwangerschaft zum Zeitpunkt des Hirntodes schon weit fortgeschritten war. In der Studie waren sie durchschnittlich knapp 30 Wochen alt.

Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer warf den Erlanger Ärzten vor, sie hätten sich zum Herrn über Leben und Tod gemacht. Sie sprach von einem "Größenwahn der Männermedizin" und geißelte den Versuch, die Grenzen vermeintlicher Heilkunst zu verschieben. Strafrechtler jedoch argumentieren, auch ein ungeborenes Kind habe ein Recht auf Leben. Der Schwangerschaftsabbruch an einer hirntoten Frau ist nach Paragraf 218 Strafgesetzbuch strafbar.

Dass die Öffentlichkeit den Fall vor 25 Jahren höchst erregt begleitete, lag auch an der Berichterstattung der Medien. Die Eltern des Unfallopfers Marion P. fühlten sich von den Erlanger Ärzten übergangen und wohl auch missverstanden. Sie suchten die mediale Unterstützung der "Bild"-Zeitung. Das "Erlanger Baby" landete auf den Titelseiten.

In den hitzigen Debatten vermischten sich medizinethische, theologische und juristische Sichtweisen zu einem unauflösbaren Knäuel. Die "Bild" ermittelte in einer Leserumfrage ein eigenes Meinungsbild: Nur 18 Prozent der Leser fanden es demnach richtig, dass eine tote Frau ein Kind zur Welt bringt, 82 Prozent waren dagegen.

Lebensrecht des Fötus oder Recht der Mutter auf natürliches Sterben?

Im Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses stand zunächst allein die Frage, ob das Lebensrecht des Fötus höher zu bewerten sei als das Recht der Mutter auf ein natürliches Sterben. Ist es richtig zu versuchen, eine hirntote Schwangere bis zur Entbindung am Leben zu erhalten?

Die Ethikprofessorin Claudia Wiesemann sieht das Vorgehen der Mediziner vor 25 Jahren kritisch. Deren Entscheidung, eine hirntote Frau ihr Kind austragen zu lassen, habe "ethischen Maßstäben nicht genügt", sagte die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrates dem Evangelischen Pressedienst (epd) im Rückblick.

"Ein solches Experiment in einer so frühen Phase der Schwangerschaft wäre nur gedeckt gewesen durch die mutmaßliche Einwilligung der betroffenen Frau, und davon konnte man unter den gegebenen Umständen nicht ausgehen", sagte Wiesemann, Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen.

Für eine so schwerwiegende Entscheidung müsse "ein fairer Diskursprozess gewährleistet sein, in dem alle Interessenbeteiligten repräsentiert sind", betonte die Medizinerin. Damals hätten jedoch allein medizinische Experten der Fakultät entschieden und sich so über das Persönlichkeitsrecht der Patientin hinweggesetzt, das über den Tod hinaus fortwirke: "Die Verfügung über den Körper eines Menschen auch nach seinem Tod liegt in der Hand des Verstorbenen beziehungsweise seiner Stellvertreter."

2008 gab es erneut einen ähnlichen Fall in Erlangen, allerdings hielt die Klinik die Umstände zunächst geheim. Dort brachte nach 22 Wochen im Wachkoma eine Schwangere einen gesunden Jungen zur Welt. Klinikdirektor Matthias Beckmann bekannte gegenüber einer Zeitung, Herr über Leben und Tod gewesen zu sein: "Aber das ist unsere ärztliche Rolle. Wir haben uns nicht dazu aufgespielt, sondern für das Kind Partei ergriffen."

„Die Wahrheit wird euch frei machen.“

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Sigurd Rink
Format: Feiertag
19.11.2017 07:05
Sendung nachlesen:

Volkstrauertag: Viele Menschen in unserem Land, unserem Volk, trauern. Gedenken unzähliger Toter und Traumatisierter der beiden Weltkriege im vergangenen Jahrhundert. Schwerer noch wiegt, dass wir Deutsche uns eigenen politischen Versagens erinnern, verhängnisvoller Entscheidungen, ausgebliebener Courage, die den ganzen Kontinent über alle Abgründe des Menschenmöglichen und des Vorstellbaren hinaustrieben.

 

Unser Volk hat Grund zur Trauer und auch zur Scham. Aufrechnen mit Fehlern anderer Völker ist etwas für Krämerseelen, erniedrigte nur einmal mehr.

 

Wohl kaum einer hat das Grundgefühl einer ganzen Generation in so starke, lyrische Worte gefasst, wie der Hamburger Wolfgang Borchert. Morgen ist sein 70. Todestag. Ein Grund mehr, an ihn zu erinnern. Nur 26 Jahre wurde er alt, aber er hat sich schon in diesen jungen Jahren der Realität und dem Grauen des Krieges gestellt wie kaum ein anderer.

 

Im Mai 1941, also gerade einmal 20 Jahre alt, wird er als Panzergrenadier an die Ostfront einberufen.

Von dort schreibt er einen "Brief aus Russland":

 

"Man wird tierisch.

Das macht die eisenhaltige

Luft. Aber das faltige

Herz fühlt sich manchmal noch lyrisch.

Ein Stahlhelm im Morgensonnenschimmer.

Ein Buchfink singt und der Helm rostet.

Was wohl zu Hause ein Zimmer

Mit Bett und warm Wasser kostet?

Wenn man nicht so müde wär!

 

Aber die Beine sind schwer.

Hast du noch ein Stück Brot?

Morgen nehmen wir den Wald.

Aber das Leben hier ist so tot.

Selbst die Sterne sind fremd und kalt.

Und die Häuser sind

so zufällig gebaut.

Nur manchmal siehst du ein Kind,

das hat wunderbare Haut."

 

 

 

Nach gut einem Jahr an der Front steht Wolfgang Borchert 1942 zum ersten Mal vor Gericht.

Er hatte die Sinnhaftigkeit des Krieges in Frage gestellt und das passte den Herren nicht ins Konzept.

So wird aus dem 21 Jahre alten jungen Mann ein Widerstandsgeist und ein Kriegsgegner.

In seiner Haft in Berlin schreibt er das kurze Gedicht: "Der Mond lügt. Moabit."

 

"Der Mond malt ein groteskes Muster an die Mauer.

Grotesk? Ein helles Viereck, kaum gebogen,

von einer Anzahl dunkelgrauer

und schmaler Linien durchzogen.

Ein Fischernetz? Ein Spinngewebe?

Doch ach, die Wimper zittert,

wenn ich den Blick zum Fenster hebe:

Es ist vergittert!"

 

 

 

Schwer verwundet an Leib und Seele kehrt Wolfgang Borchert mit Kriegsende nach Hause zurück.

Doch es werden ihm nur noch zwei Jahre zum Leben und zum Dichten bleiben. Die Wundmale des Krieges waren nicht mehr zu heilen.

 

Heinrich Böll, ein anderer Großer der Nachkriegsliteratur schrieb über ihn:

 

"Borcherts Schrei galt den Toten, sein Zorn den Überlebenden, die sich mit der Patina geschichtlicher Wohlgefälligkeit umkleideten."

 

Wolfgang Borcherts Lyrik, seine Theaterstücke, seine Prosa waren seine Form, das unaussprechliche Grauen des Krieges zu artikulieren.

 

Während anderenorts schon gleich im Sommer 1945 der Ruf laut wurde, es müsse doch jetzt ein Ende haben mit der Erinnerung an die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur und die Grauen des Krieges schaute er genau hin, fand seine subjektive, persönliche Wahrheit und scheute sich auch nicht, das zu beschreiben, was weh tut.

 

 

 

Natürlich war das Verlangen nach Bindung und Tiefe, nach Glück und Beheimatung unendlich groß in diesen Tagen, Wochen, Monaten nach dem Kriegsende. Die Kirchen waren voll. "Not lehrt beten", sagt man. Oft zu Recht.

"Wir sind noch einmal davon gekommen!", riefen sich die Überlebenden zu und zugleich: "Nie wieder Krieg!"

 

Es gab ein unendlich großes Verlangen nach Trost. Nicht aus eigener Leistung heraus oder aus dem, was Deutsche denn doch an Gutem vollbracht haben in der Geschichte. Menschen wollten Trost erfahren, der trägt; wollten frei werden von den Zwängen eigener Gerechtigkeit. Etwas hören wollten sie. Etwas gesagt bekommen.

 

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem

Namen gerufen, du bist mein!

 

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem

Namen gerufen, du bist mein!

 

Fürchte dich nicht!

Nicht, weil du stark bist. Weil keiner dir am Zeug flicken kann. Weil du moralisch überlegen bist oder die Macht hast, alle anderen zum Schweigen zu bringen.

 

Fürchte dich nicht!

Weil ein Anderer- der, auf den es ankommt- dich sucht, dich sieht, dich durchschaut- und liebhat!

Jemand, der diese Sehnsucht in einprägsame, fast zynisch klingende Worte gefasst hat, war ausgerechnet ein Schweizer Bürger und Denker, der evangelische Theologe Karl Barth:

 

"Her zu mir, ihr Unsympathischen, ihr bösen Hitlerbuben und -mädchen, ihr brutalen SS-Soldaten, ihr üblen Gestaposchurken, ihr traurigen Kompromissler und Kollaborationisten, ihr Herdenmenschen alle, die ihr nun so lange geduldig und dumm hinter eurem sogenannten Führer hergelaufen seid! Her zu mir, ihr Schuldigen

und Mitschuldigen, denen nun widerfährt und widerfahren muss, was eure Taten wert sind! Her zu mir, ich kenne euch wohl; ich frage aber nicht, wer ihr seid und was ihr getan habt; ich sehe nur, dass ihr am Ende seid und wohl oder übel von vorne anfangen müsst; ich will euch erquicken, gerade mit euch will ich jetzt vom Nullpunkt her neu anfangen!"

 

Das hat Karl Barth, geistiger Vater der Bekennenden Kirche, 1945 über Leichenberge und rauchende Trümmer hinweg den Deutschen zugerufen. Vor Gott gilt nichts als eben SEIN Wille, Gott zu sein, Verbindung zu stiften, Menschen würdig zu machen, die unwürdig sind.

"Die Wahrheit wird Euch frei machen"

Dieser kurze, prägnante Satz Jesu aus dem Johannesevangelium könnte zugleich ein Leitwort über dem Denken und Wirken dieses Theologen sein.

 

 

Auch in diesem Jahr hat Deutschland sich mit der 1945 längst nicht abgeschlossenen Vergangenheit auseinandergesetzt und auch herumgequält Besonders standen und stehen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Fokus. Was Tradition sein kann und darf, wurde zuweilen hektisch diskutiert. Womöglich hat es sich einmal mehr gerächt, dass viel zu schnell und leichtfertig Schlussstriche herbeigewünscht wurden, dass nötiges Hinsehen lange Zeit unterblieb. Was verleugnet und verdrängt wurde, kehrt umso heftiger zurück.

 

Ein Grund mehr, sich heute zu wünschen, getröstet und getrost zu bleiben.

 

Mir sagen die Worte Jesu: Sei gelassen und getrost! Fürchte Gott- und lerne daran, Furcht und Kleinmut in der Weit zu überwinden. Lass dich von den Forderungen der Weit nicht auffressen. Nicht umfassende Korrektheit rettet, nicht mein richtiges Handeln, sondern Gottvertrauen allein. Und in der Weit handelst du eben "weltlich"– nur lass' dich davon nicht auffressen, bewahre dir die innere Distanz.

 

Was immer an Schuldscheinen gegen dich zeugen mag: Das letzte Zeugnis gibt ein Anderer.

Jahrhunderte vor Jesus hat sich der Prediger Salomo mit diesem Lebensthema auseinandergesetzt. Er hat seine Einsicht und Erkenntnis knapp zusammengefasst in der klugen Weisung:

 

Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.

 

Selbst gerecht sein zu wollen, das ist zunächst das Natürlichste überhaupt, eine Frage der Ehre sozusagen. Wer gilt schon gern als unzuverlässig, als Gesetzloser und Verbrecher, als einer, der Schuldscheine fälscht?

 

Gesetz und Moral sind zu fürchten. Ohne Gesetz und Moral könnten Menschen auch nicht zusammenleben. Und doch weist Gottesfurcht über die Gesetzesfurcht hinaus.

 

Kern der reformatorischen Entdeckung, die wir in diesem Jahr gefeiert haben, ist ja die Unterscheidung zwischen meiner eigenen, kleinlichen Gerechtigkeit und der unendlich austeilenden, schöpferischen Gerechtigkeit Gottes. Gott wird mich am Ende, im Gericht, nicht messen, wiegen, prüfen. Wohl wird er mir vor Augen führen, wo ich Menschen verletzt und enttäuscht habe, das wird nicht harmlos sein. Da werden meine Schuldscheine gezählt. Überwältigen wird Gott mich aber nicht als ein strafender Richter, sondern mit seiner Liebe.

 

Wenn es drauf ankommt, zählt Gottes Wille, dass er mein Gott sein will, dass er Beziehung sucht und hält, dass er mich nicht umkommen lässt, wie verdient das auch immer sein mag.

 

"Gericht" kommt ursprünglich nicht von "Hinrichten", sondern von "Richten" im Sinne vom Gerade-Machen. Gott macht es am Ende gerade und gut, besagt meine Hoffnung.

 

 

Dass Gott richtet und nicht hinrichtet, das vor allem ist für mich der Trost des Volkstrauertags. Wenn wir bei Trost bleiben wollen, dann suchen wir nicht eine Rechtfertigung in Aufrechnen und Rechthaberei. Dann lassen wir uns den Trost des Evangeliums gesagt sein. Niemand könnte sich selbst Besseres tun, als Gott ihm schon längst Gutes getan hat.

Gott liebt, auch die Schuldigen. Dass seine Liebe nicht aufrechnet, das macht sie besonders. Mit dem Braven gut sein, das kann jeder, sogar jeder kleinliche Despot. Gott liebt­ und macht damit liebenswert. Noch einmal der Theologe Karl Barth – so wie er die Stimme Gottes hört:

 

"Her zu mir, ich kenne euch wohl; ich frage aber nicht, wer ihr seid und was ihr getan habt; ich sehe nur, dass ihr am Ende seid und wohl oder übel von vorne anfangen müsst; ich will euch erquicken, gerade mit euch will ich jetzt vom Nullpunkt her neu anfangen!"

 

Sich das gesagt sein zu lassen, das macht nicht zufrieden oder gar träge. Das bewegt etwas, motiviert, in der Welt Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich mit Gottes Gerechtigkeit beschenkt bin, dann werde ich Gerechtigkeit weiterschenken. Dann werde ich in meinem kleinen Bereich versuchen, so gütig zu sein, so lebensspendend, wie Gott es im Großen ist.

 

In diesem Zusammenhang denke ich an den Feldwebel der Wehrmacht Anton Schmid. Er rettete 300 Juden aus dem Getto von Wilna. Ohne Befehl, seinem Gewissen treu. Er trug damit wesentlich bei zum Entstehen einer jüdischen Widerstandsbewegung in Litauen und Weißrussland. Er, der Feldwebel der Wehrmacht. Dafür verurteilte ihn ein Militärgericht zum Tode. Heute haben viele gelernt und viele nehmen ihn zum Beispiel. Die Bundeswehr-Kaserne in Blankenburg im Harz trägt seinen Namen. Ja, auf diesen Kameraden können deutsche Soldaten stolz sein. Er folgte seinem Gewissen, wo selbst hohe Offiziere sehenden Auges in Schuld und Verderben mitliefen.

 

Menschen, die Gottes Güte kennen, akzeptieren die Grautöne der eigenen Geschichte und der Geschichte ihres Landes. Keine Schuld katapultiert aus der Geschichte heraus. Und kein Heraushalten erspart, mitschuldig zu werden.

Dass alles an Gottes Güte hängt, gibt uns das menschliche Maß. Und es gibt ihnen zugleich den Auftrag, uns nicht aus der Geschichte davon zu stehlen.

 

Du bist nie zu schlecht, um gerade mit Deinen Begabungen in der Welt etwas beizutragen und auszurichten.

Und Du bist nie zu gut, um Dir nicht im Einsatz für eine bessere Welt die Hände schmutzig zu machen. Ja, genau diese Welt, so wenig sie sich den Heile-Welt­ Träumen einfügt, sie lohnt den Einsatz.

 

Soldaten und Soldatinnen, das beeindruckt mich als Militärbischof immer wieder, sind die Menschen, die da sind und Verantwortung übernehmen, wenn die Politik anders nicht mehr weiter weiß. Unsere Soldaten treten auf Beschluss unseres demokratischen Parlaments in vielen Ländern der Erde für Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Menschenrechte ein. Das unterläuft eine geichgültige oder zynische Ohne-mich-Haltung.

Dass Soldaten im Namen unserer Nation handeln, zeigt: Wir nehmen Teil an der Geschichte, mit aller Vorsicht, unter jeder denkbaren Rechenschaft. Aber wir halten uns nicht heraus, wo es gilt, Fehlentwicklungen entgegen zu treten.

 

Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, damit du dich nicht zugrunde richtest.

 

Wie gut, das zu beherzigen!

Und auf der anderen Seite zugleich zu wissen: Mit sich selbst ins Gericht gehen, sich in sich selbst einschließen und verkrümmen, tötet am Ende. Gottes Gnade zu vertrauen, das macht mutig. Es öffnet für die Aufgaben der Zeit: Ich werde in der Welt gebraucht. Größer als Gottes Güte wird meine Schuld nicht sein.

 

Wer bei Trost ist, getröstet, kann in der Welt Verantwortung tragen. Nur wer sich selbst barmherzig annimmt, wird eine barmherzige und darum menschenwürdige Ordnung in der Welt aufbauen und verteidigen. Eigene Fehler und Sünden zu verschweigen und zu verleugnen, das lähmt. Es stimmt: Die Wahrheit wird frei machen. Ein offenes Bekenntnis befreit. Was macht es denn letztlich, wenn ich meine Schuldscheine offenlege? Eines ist wichtig: Den "Tilger der Sünden" anzunehmen. Jesus ist Gottes Liebe in Person. Darin, so glaube ich fest, gründet die Zukunft unseres Volkes. Wer den Tilger der Sünden annimmt, kann in der Welt frei und verantwortlich handeln.

 

ln ein paar Wochen, zum Fest der Geburt Jesu, werden wir wieder singen und dabei vor allem hören:

 

Wann oft mein Herz im Leibe weint und keinen Trost kann finden,

rufst du mir zu: Ich bin dein Freund, ein Tilger deiner Sünden.

Was trauerst du, o Bruder mein?

Du sollst ja guter Dinge sein, ich zahle deine Schulden.

 

Du sollst ja guter Dinge sein. Das ist ein wunderbares Versprechen. Ein Segen, den man gerne entfaltet und in weitere Worte kleidet:

 

Fürchte dich nicht!

Der Vater im Himmel kennt dich und will dich, genau dich, auf deinem Weg geleiten.

Fürchte dich nicht!

Der Heilige ist heilig, indem er klein und schwach wird, an deine Seite kommt.

Sein Reich kommt, das alle Tränen abwischt.

Sein Wille geschieht, ob du es für möglich hältst oder verzweifelt bist.

Himmel und Erde werden eins, so wahr Gott Mensch geworden ist.

Fürchte dich nicht!

Das tägliche Brot gibt er dir, und schenkt dir Mut zum Vergeben dazu.

Hinter jeder Versuchung steht er, um dich zu bewahren.

Wo das Böse herrscht, hat das Leben immer schon triumphiert.

Fürchte dich nicht!

"Es könnte sein, dass ich als Wurm wiedergeboren werde"

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Wenn Verstorbene und ihre Angehörigen sich für humorvolle Todesanzeigen und Grabstein-Inschriften entscheiden
Grabsteininschrift 'Damn it's dark down here'

Foto: IMGUR

Traueranzeigen werden oft aus den Mustervorlagen der Bestattungsunternehmen gestaltet. Aber zunehmend entscheiden sich Hinterbliebene für individuelle Formulierungen - und zeigen, dass manchmal auch Humor Platz hat in der Bestattungskultur.

Mit nur drei Worten brachte eine Familie ganz lakonisch ihre Gefühle für die verstorbene Großmutter auf Zeitungspapier: "Die Oma wieder...". Zärtlicher liest sich der letzte Gruß eines Enkelkinds an seinen Großvater: "Nun wird ein Engel im Himmel Kekse und Quarkbällchen backen." Zunehmend finden sich in den Nachrufspalten der Tagespresse ganz individuelle Würdigungen. Christian Sprang sammelt sie seit Jahren und besitzt mittlerweile unzählige Belege dafür, dass auch Humor seinen Platz in der Trauerkultur hat. "Von einigen Stücken meiner Sammlung bin ich unglaublich fasziniert", sagt er. Unfreiwillige Komik gebe es zwar auch, aber viel seltener.

Seit der Veröffentlichung seines ersten Buches erhielt Sprang, im Hauptberuf Justiziar beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels, aus ganz Deutschland rund 25.000 weitere kuriose Traueranzeigen zugeschickt. Mittlerweile hat er als Co-Autor den dritten Band herausgegeben ("Ich mach mich vom Acker"). Zuweilen kommentieren darin sogar die Verstorbenen selbst ihr Ableben: "Es könnte sein, dass ich als Wurm wiedergeboren werde", steht über der Zeitungsannonce für den mit 62 Jahren verstorbenen Karl-Heinz S., "also pass auf, wohin du trittst."

"Ich glaube, ich lebe sogar noch gerne, wenn ich einmal gestorben bin"

"Wir sind überzeugt, dass die Zukunft des Todes, allemal die der Bestattungskultur, aus mehr Vielfalt und weniger Monotonie bestehen wird", schreiben die Passauer Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler. Sie befassen sich mit launigen Inschriften auf Grabsteinen und haben dazu bereits zwei Bücher ("Game over") zusammengestellt, mit Sprüchen wie "bis neulich" oder "Ich glaube, ich lebe sogar noch gerne, wenn ich einmal gestorben bin".

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Game Over: Neue ungewöhnliche Grabsteine
Game Over: Neue ungewöhnliche Grabsteine

Alexander Helbach, Sprecher des Vereins für Trauerkultur "Aeternitas" mit Sitz in Königswinter, beobachtet seit längerem einen Trend weg von christlichen Symbolen und hin zu einem immer individuelleren Umgang mit der Trauer. "Normalerweise wünschen sich Menschen noch zu Lebzeiten, was zu ihnen passt", sagt er. Wenn jemand möchte, dass an ihn auf humorvolle Weise erinnert werde, sei das grundsätzlich zu respektieren. "Ich sehe das eher positiv", sagt Helbach - solange der Nachruf niemanden beleidige und nicht zur Abrechnung mit ungeliebten Verwandten missbraucht werde.

Selbst bei Trauerfeiern ist Humor nicht grundsätzlich mit einem Tabu belegt. Es komme aber immer auf den Einzelfall an, meint Volker Rahn, Sprecher der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: "Wenn ein Mensch nach einem langen, erfüllten Leben stirbt, ist es meist kein Problem, wenn der Pfarrer beim Abschied auch eine lustige Anekdote über den Verstorbenen erzählt." Bei der Beerdigung eines Jugendlichen, der bei einem Verkehrsunfall starb, verbiete sich so etwas hingegen. Auszuloten, was angemessen ist, sei für den Pfarrer eine der Aufgaben beim Trauergespräch mit den Hinterbliebenen.

"Mit Lachen gegen den Tod zu kämpfen, ist eigentlich eine ganz alte Tradition"

"Mit Lachen gegen den Tod zu kämpfen, ist eigentlich eine ganz alte Tradition", erinnert Rahn an den Brauch des Osterlachens, mit dem Christen schon im Mittelalter ihrem Glauben an die Auferstehung Ausdruck verliehen. Auch Buchautor Sprang sieht das so: "Aus christlicher Sicht kann man sehr wohl humorvolle Todesanzeigen verfassen." Manche kurzen Nachrufe hätten etwas sehr Anrührendes, etwa, wenn um einen Verstorbenen aus dem westfälischen Steinhagen mit den Worten getrauert werde: "Der liebe Gott hat einen Steinhäger zu sich genommen."

Ganz neu ist der Gedanke, dass selbst im Angesicht des Todes Platz für einen Scherz ist, ohnehin nicht: Der "Fröhliche Friedhof" im rumänischen Sapanta zieht Besucher aus aller Welt an. Ab 1935 gestaltete ein Künstler dort insgesamt 800 bunte Holzstelen mit lustigen gereimten Nachrufen auf die Dorfbewohner. Und auf dem "Museumsfriedhof" von Kramsach in Tirol sind unkonventionelle historische Grabmale aus dem gesamten Alpenraum ausgestellt, einige von ihnen sind mehr als 200 Jahre alt. "Hier liegt in süßer Ruh' erdrückt von seiner Kuh - Franz Xaver Maier" heißt es auf einem der Grabkreuze, "daraus sieht man, wie kurios man sterben kann."

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